Artikel-Informationen
erstellt am:
25.04.2009
zuletzt aktualisiert am:
17.05.2010
Professor Dr. Jörn Ipsen
Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs
Ehrenamt und kommunale Selbstverwaltung
Festrede, gehalten aus Anlass der Ehrung ehrenamtlich tätiger Bürger der Gemeinde Stuhr
am 29. März 2009
Der Anlass des heutigen Frühlingsempfangs ist die Ehrung von Bürgern, die sich durch ehrenamtliche Tätigkeit besonders verdient gemacht haben. Die Gemeinde Stuhr hat hier eine Tradition begründet, die ihrer Stellung als kommunaler Gebietskörperschaft in besonderer Weise entspricht und anderen Gemeinden durchaus zur Nachahmung empfohlen werden kann: Zu einem bestimmten Anlass das Augenmerk auf jene Bürger zu lenken, die sich für das Gemeinwohl eingesetzt haben und aus der großen Zahl ehrenamtlich Tätiger und stellvertretend für diese kleinere Zahl namentlich zu ehren. Ich darf Ihnen, Herr Bürgermeister Bockhop, für die Einladung danken, zu diesem Anlass die Festrede zu halten. Ich fühle mich in doppelter Funktion angesprochen, weil das Kommunalrecht für mich als Hochschullehrer seit vielen Jahren ein bevorzugtes Forschungsgebiet darstellt und das Ehrenamt aus der kommunalrechtlichen Forschung nicht wegzudenken ist. Zum anderen bekleide ich als Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs selber ein Ehrenamt und weiß mich denjenigen, die auf kommunaler Ebene ehrenamtlich tätig sind, deshalb in besonderer Weise verbunden.
Ich werde meinen Vortrag in drei Abschnitte einteilen und Ihnen zunächst skizzieren, was kommunale Selbstverwaltung nach meinem Verständnis bedeutet. In einem zweiten Abschnitt gehe ich dann auf die Eigenart des Ehrenamtes und seine Funktion in unserem demokratischen Gemeinwesen ein. In einem dritten Abschnitt will ich mich aktuellen Tendenzen widmen, die dem herkömmlichen Bild der durch das Ehrenamt geprägten kommunalen Selbstverwaltung zuwiderlaufen. Ein Ausblick wird meine Ausführungen beschließen.
Der uns so geläufige Begriff der kommunalen Selbstverwaltung ist aussagekräftiger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die kommunale Selbstverwaltung nämlich ist Selbstverwaltung. Was auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheint, erweist sich auf den Zweiten als weittragende Feststellung. Wenn wir Verwaltung allgemein als Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Behörden begreifen, so gewinnt die Selbstverwaltung ihre Besonderheit dadurch, dass Gemeinwesen ihre eigenen Angelegenheiten verwalten. Da die Identität von Verwaltung und Verwalteten nur in sehr kleinen Gruppen denkbar ist – schon der Verein braucht einen "Vorstand" –, kommt es entscheidend auf die Legitimation derer an, die in einem solchen Gemeinwesen die öffentlichen Aufgaben erfüllen. Selbstverwaltung ist also eine Verwaltung, die durch die betroffenen Mitglieder des Gemeinwesens – die Bürger – besonders legitimiert ist. Diese Legitimation erfolgt durch Wahlen, die auf das örtliche Gemeinwesen beschränkt sind. Hieraus folgt, dass Selbstverwaltung und Demokratie untrennbar miteinander verbunden sind. Eine Demokratie ohne örtliche Selbstverwaltung ist stets unvollkommen, weil der Bürger gerade in seinem engsten Lebensbereich von der Mitwirkung ausgeschlossen wäre. Umgekehrt wäre eine Selbstverwaltung ohne demokratische Legitimation undenkbar, weil der Bürger nur durch Wahlen und Abstimmungen auf die örtlichen Angelegenheiten Einfluss zu nehmen in der Lage ist.
Demokratie und Selbstverwaltung sind nicht immer eine Verbindung eingegangen, Selbstverwaltung hat es gegeben, lange bevor sich die Demokratie durchsetzte. Die Selbstverwaltung beruht in ihrer Ausformung, wie sie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Stein’sche Städteordnung gefunden hat, auf dem Gedanken der Mobilisierung der Bürger für das Gemeinwesen. Mit anderen Worten soll der Bürger zu seiner Gemeinde nicht in einem Verhältnis von Untertan zu Obrigkeit stehen, sondern sich für die gemeinsamen Angelegenheiten verantwortlich fühlen und an ihnen mitwirken. Ich komme auf diesen Gesichtspunkt später noch zurück. Die kommunale Selbstverwaltung – und dies ist ihr zweites Kennzeichen – ist notwendig Kommunalverwaltung. Auch diese These mag zunächst als ein Pleonasmus erscheinen, bezogen indes auf das erste Kennzeichen auf etwas Grundsätzliches. Das Grundgesetz führt mit dem Begriff der "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" hier auf die richtige Spur. Diese Angelegenheiten werden vom Bundesverfassungsgericht in dem bekannten "Rastede-Beschluss" definiert als diejenigen, Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (…), die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und –wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen (…)."
Die Gemeinde ist also als "örtliche Gemeinschaft" verfassungsrechtlich geschützt und nicht jeder beliebigen Vergrößerung oder Erweiterung zugänglich. Lassen Sie mich hierzu festhalten: Die Gebietsreform der 70er Jahre ist unausweichlich gewesen, weil viele Gemeinden die Verwaltungskraft, die Voraussetzung für kommunale Selbstverwaltung ist, nicht aufbrachten. Die Vielzahl von Pflichtaufgaben, aber auch Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis, die die Gemeinden noch heute zu erfüllen haben, erfordern eine professionelle Verwaltung, die erst ab einer bestimmten Einwohnerzahl finanzierbar ist. Auf der anderen Seite sollte man sich bewusst bleiben, dass Gemeinden natürlich gewachsene, aufgrund einer Vielzahl individueller Entscheidungen zustande gekommene Gemeinwesen sind, in denen sich im Laufe der Zeit auch ein Gemeindebewusstsein gebildet hat. Es wäre interessant zu untersuchen, welchem Gemeinwesen sich Menschen am stärksten verbunden fühlen und wo demgemäß ihre größte Loyalität liegt. Ich wage die Vermutung, dass in Deutschland noch immer das örtliche Gemeinwesen einen vorderen Platz einnimmt. Der Grund hierfür ist unschwer zu erraten, denn Menschen leben zunächst einmal in konkreten räumlichen Zusammenhängen, mögen sie auch weiteren – abstrakteren – Gemeinwesen – wie Bund oder Land – angehören. Das Konkrete ist zugleich das Erfahrene und diese Erfahrung prägt Menschen auch in ihrem Verhältnis zum Gemeinwesen.
Die kommunale Ebene lässt sich deshalb nicht beliebig konstruieren, dekonstruieren und rekonstruieren. Allzu leicht werden mit Gebietsreformen auch politische Machtinteressen verfolgt, gegenüber denen sich die kommunale Selbstverwaltung resistent zeigen muss. Die örtliche Gemeinschaft kann nicht ständiger Reorganisation unterworfen werden, weil dies dem Grundgedanken der Verantwortlichkeit des Bürgers für sein örtliches Gemeinwesen widerspricht. Mutatis mutandis lassen sich diese Grundsätze auch auf die Kreisebene übertragen, die ebenfalls nicht beliebige Vergrößerung ist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch nicht unerwähnt lassen, dass die Selbstverwaltung in Kommunen naturgemäß örtlich begrenzt ist. Wenn in Grundgesetz und Niedersächsischer Verfassung eine Garantie der Selbstverwaltung von Gemeinden und Kreisen enthalten ist, so schützt diese die kommunalen Gebietskörperschaften naturgemäß auf ihrem Gebiet. Es ist mit der Selbstverwaltungsgarantie schwerlich vereinbar, auch auf andere Gebiete überzugreifen und im Sinne eines wirtschaftlichen Wettbewerbs mit anderen Gemeinden oder Kreisen zu konkurrieren. Ich deute hiermit eine Problematik an, die insbesondere auf Kreisebene – und hier bei den Sparkassen – stets eine Rolle gespielt hat und bis heute nicht vollständig gelöst ist.
Ich komme damit zu meiner dritten These: Kommunale Selbstverwaltung ist notwendig Verwaltung.
Ich will an dieser Stelle verdeutlichen, warum ich dem Wirtschaftsparadigma und der mit Anglizismen gesättigten ökonomischen Fachsprache auch nach dem vorläufigen Siegeszug des "neuen Steuerungsmodells" mit Zurückhaltung begegne:
- Während Wirtschaftsbetriebe auf die Erzeugung von Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen ausgerichtet sind, bleibt die Verwaltung – auch die Kommunalverwaltung – zu einem nicht geringen Teil Verwaltung, das heißt, Gesetze ausführende Behörde. Soweit die kommunalen Gebietskörperschaften Versorgungsleistungen erbringen oder Dienstleistungen anbringen, steht ihnen seit jeher der Wirtschaftsbetrieb zur Verfügung. Jenseits dieses Bereichs bestehen jedoch Bedenken gegenüber einer unkritischen Übernahme ökonomischer Kategorien.
- Das gilt insbesondere für die Vorstellung, die Verwaltung erzeuge in Gestalt ihrer Verwaltungsakte oder anderer Maßnahmen "Produkte", die denen der Privatwirtschaft vergleichbar sind, und füge sich auf diese Weise in eine "Dienstleistungsgesellschaft" ein. Zutreffend ist, dass Verwaltungsakte am Ende eines Verwaltungsverfahrens stehen und sich somit als dessen Ergebnis darstellen. Während das Wirtschaftsprodukt sich aber dadurch auszeichnet, dass es seinem Erwerber nützt, lässt sich das Gleiche vom Verwaltungsakt keineswegs immer behaupten. Durch Verwaltungsakte werden ja Leistungen nicht nur gewährt, sondern auch versagt; so werden etwa Konzessionen nicht stets erteilt, sondern auch abgelehnt.
- In engem Zusammenhang hiermit steht die sog. "Kundenorientierung", die ebenfalls integraler Bestandteil des "neuen Steuerungsmodells" ist und durch ein sog. "Kundenmonitoring" geprüft werden soll. Die "Kundenorientierung" mag helfen, Mitarbeiter der Behörde zu mehr Höflichkeit im Umgang mit dem Bürger zu veranlassen, ist begrifflich jedoch verfehlt. Zum einen fehlt es für den Kundenbegriff an jedem Wettbewerb. Verwaltungsbehörden haben eine festgelegte Zuständigkeit, die ausschließt, dass ein Antragsteller auf andere Anbieter ausweicht. Ebenso wenig wie der Begriff des "Produkts" auf belastende Verwaltungsakte passt, lässt sich der Begriff des "Kunden" auf deren Adressaten anwenden. Ich fühle mich gelegentlich an im Dienst ergraute Staatsanwälte meiner Referendarzeit erinnert, die Straftäter, die wiederholt auffällig wurden, gern als ihre "Kunden" bezeichneten. Es wäre nicht ohne zynischen Unterton, den Antragsteller beim Sozialamt, den Führerscheininhaber, dessen Fahrerlaubnis entzogen wird, den Adressaten einer Ordnungsverfügung oder gar den auszuweisenden Ausländer als "Kunden" zu apostrophieren, dessen Zufriedenheit mit der Verwaltungsleistung gegebenenfalls durch ein "Kundenmonitoring" zu überprüfen wäre.
Was in einem gelegentlich etwas zwanghaft erscheinenden ökonomischen Gewand daher kommt, lässt sich staatstheoretisch viel besser und einfacher fassen. Der Bürger ist nicht Untertan einer durch Behörden repräsentierten Obrigkeit, sondern Mitglied eines Verbandes, der unterschiedliche Organisationsformen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben hervorgebracht hat. Diese – staatlichen oder kommunalen – Behörden haben gegenüber dem Bürger grundsätzlich keinen "Mehrwert", sondern stehen sich jeweils als öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Rechtssubjekte gegenüber. Dass sich im Deutschland der Gegenwart ein Bewusstsein dafür herausbildet und herausgebildet hat, dass der Obrigkeitsstaat unwiderruflich der Vergangenheit angehört, ist eine durch das Grundgesetz aufgegebene Entwicklung, die nicht zur "Kundenorientierung" verbogen werden sollte. Gesteigerten Anlass zur Feststellung, dass kommunale Selbstverwaltung Verwaltung ist und bleiben muss, bieten die gegenwärtigen Tendenzen zur Neuauflage einer Kommunalwirtschaft. Sie sind unübersehbar und werden damit gerechtfertigt, dass kommunale Unternehmen sich nach dem Wegfall der Versorgungsmonopole neu am Markt positionieren müssten. In einzelnen Bundesländern sind die kommunalen Versorgungsunternehmen bereits durch Gesetzesänderung ermächtigt worden, ihre Versorgungsleistungen auch außerhalb des Gemeindegebiets anzubieten.
Ich kann und will an dieser Stelle nicht die Grundsatzdebatte nachzeichnen, die in den letzten Jahren geführt worden ist. Ich möchte mich vielmehr auf die Feststellung beschränken, dass die kommunale Selbstverwaltung ihre besondere Legitimation in dem Moment verliert, in dem sie jenseits der jeweiligen Gebietskörperschaft tätig wird. Betriebswirtschaftlich mag es sinnvoll sein, ungenutzte Versorgungskapazitäten auch jenseits der Gemeindegrenzen anzubieten. Gemeinden sind indes nicht dazu disponiert, jenseits ihrer Grenzen gemeinwohlorientiert und gemeinwohlmotiviert zu wirken, weil solches Wirken sich notwendig auf dem Gebiet anderer Gemeinden auswirkt. Ihnen geht es wie dem Riesen Antaios, der seine Kraft aus der Verbundenheit mit der Erde – seiner Mutter Gaia – bezog, sie aber einbüßte, weil Herkules ihn hochhob. Auch Gemeinden beziehen ihre Kraft aus der örtlichen Verwurzelung und der sie tragenden Gemeindebevölkerung. Bewegen sie sich mit ihren Unternehmen jenseits der Gemeinde-, Landes- oder Staatsgrenzen, büßen sie die ihnen aus der besonderen Verfassungsgarantie zuwachsende Legitimationskraft ein. Zeitgemäß nüchtern wird man sich fragen müssen, warum Gemeinden und damit Gemeindebürger für die Risiken wirtschaftlicher Betätigung einzustehen haben, die sich jenseits ihrer Gemeindegrenzen vollzieht.
Ich komme damit zum zweiten Abschnitt meiner Überlegungen, dem Ehrenamt und knüpfe an meine eingangs erwähnte Städteordnung für die preußischen Staaten an. Das spätabsolutistische Preußen erlebte nicht nur eine militärische Katastrophe gegen das napoleonische Frankreich, sondern war als Gemeinwesen kaum noch funktionsfähig. Die Stein-Hardenbergsche Reformen zielten deshalb darauf ab, bürgerschaftliches Engagement zu wecken und für Zwecke des Gemeinwesens nutzbar zu machen. Dieser Ursprung des Ehrenamtes ist bis heute unverändert geblieben.
Es verdient unterstrichen zu werden, dass in einer Gesellschaft, die wie unsere von Leistungsaustausch und Wettbewerb geprägt ist, sich ein weites Feld ehrenamtlicher Tätigkeit erhalten hat. Ich denke hierbei an das Vereinswesen, das in Deutschland besonders ausgeprägt ist und ohne ehrenamtliche Tätigkeit nicht denkbar wäre. Jenseits des schwindelerregenden Einkommens von Profifußballern und ihrer Transfersummen wird leicht übersehen, dass die Basis für sportliche Höchstleistungen stets vor Ort in Gestalt ehrenamtlichen Engagements in den Sportvereinen gelegt wird. Denn nicht nur der Sport, sondern vielfältige andere Beschäftigungen finden ihren organisatorischen Zusammenhalt in Vereinen, die für ihre Mitglieder Bezugspunkt und Kommunikationsforum darstellen. Das bürgerliche Recht stellt mit dem eingetragenen Verein die entsprechende Rechtsform zur Verfügung, das Steuerrecht gewährt den gemeinnützigen Vereinen eine entsprechende steuerliche Begünstigung.
Ehrenamtliche Tätigkeit ist ihrer Eigenart und ihrem Ursprung nach gemeinnützig, denn sie wird – wenn ich einmal die steuerrechtliche Definition der Gemeinnützigkeit anführen darf – "selbstlos" erbracht. Selbstlosigkeit bedeutet, dass auf eine – materielle – Gegenleistung verzichtet wird. In dem Augenblick, in dem die Tätigkeit entgolten wird, ist sie begrifflich nicht mehr "selbstlos". Nun sind Menschen – wie wir wissen – nicht unbedingt zur Selbstlosigkeit disponiert und deshalb erwarten auch ehrenamtlich Tätige hierfür eine Anerkennung. Diese allerdings ist gerade nicht materieller Natur, sondern besteht in der Wertschätzung, die der ehrenamtlichen Tätigkeit entgegengebracht wird, und dem Ansehen, das der ehrenamtlich Tätige genießt. Überaus wichtigen sozialen Funktion ehrenamtlicher Tätigkeiten ist es besonders wichtig, dass die Gemeinden – wie heute die Gemeinde Stuhr – dieses ehrenamtliche Engagement besonders anerkennt.
Bislang war allgemein von ehrenamtlichen Tätigkeiten die Rede, wie sie sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft findet, mögen wir unseren Blick auf den Sport, die Kultur und – nicht zuletzt – auf die Religionsgemeinschaften richten. Die Verbindung zur kommunalen Selbstverwaltung wird dort eng, wo es sich um kommunale Ehrenämter handelt, denen ich mich nunmehr zuwenden will.
Gemeinde- und Kreisordnungen enthalten sämtlich Bestimmungen über das Ehrenamt und verpflichten ihre Bürger, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen und auszuüben. Wir unterscheiden zwischen "Ehrenämtern" und anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten, wobei die "Ehrenämter" solche sind, für die die Ernennung zum Ehrenbeamten in Betracht kommt. Das kommunale Mandat ist in diesem Sinne kein Ehrenamt, obwohl es – im Gegensatz zum Parlamentsmandat – ehrenamtlich ausgeübt wird. Der Grund für diese Differenzierung ist denkbar einfach: Während zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten eine Verpflichtung besteht, kann dies für die Mitgliedschaft in Gemeinde- und Kreisvertretungen naturgemäß nicht gelten, sodass das kommunale Mandat seinen Vorschriften unterfällt.
Die Spannbreite ehrenamtlicher Tätigkeiten auf kommunaler Ebene ist erheblich und vielfach in ihrem Verantwortungsbereich ausgeprägt. So sind Ortsbürgermeister, Ortsvorsteher, Bürgermeister in Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden und Gemeindedirektoren genauso Ehrenbeamte wie Gemeindebrandmeister, Ortsbrandmeister und Kreisbrandmeister. Sonstige ehrenamtliche Tätigkeiten auf kommunaler Ebene sind Ausschussmitglieder, Beisitzer von Wahlausschüssen, Mitglieder der Wahlvorstände und – was hier besonders hervorzuheben ist – die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr. Aber auch im Bereich der Gemeinde- und Kreiselternräte, der Schulausschüsse und des Katastrophenschutzes gibt es ehrenamtliche Tätigkeiten. Das Gleiche gilt für die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses und Beauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege. Man möge sich nur Wahlen vorstellen ohne ehrenamtlich Tätige; man möge sich den Brandschutz vor Ort vorstellen, gäbe es keine freiwillige Feuerwehr.
Die Entlastung professioneller Kommunalverwaltung durch ehrenamtlich Tätige ist aber nur die eine Seite des Ehrenamtes. Durch die ehrenamtliche Tätigkeit nämlich ist dem Bürger die Möglichkeit gegeben, unmittelbar in die Geschicke des Gemeinwesens hineinzuwirken. Dies ist in der Tat ein Spezifikum der kommunalen Selbstverwaltung, weil es entsprechende Strukturen in der staatlichen Verwaltung nicht gibt. Die ehrenamtlich Tätigen sind also Teil der Verwaltung, stehen ihr also nicht – wie Bürger im Übrigen – gegenüber. Kommunalverwaltung ist also durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass in begrenztem Rahmen der Bürger unmittelbar – nicht nur mittelbar durch Wahlen – in die Verwaltung des Gemeinwesens hineinwirkt.
Ich möchte meine Ausführungen indes nicht beenden, ohne auch auf Gefährdungen ehrenamtlicher Tätigkeit und damit eines Grundpfeilers kommunaler Selbstverwaltung hinzuweisen. Sie werden bemerkt haben, dass ich bislang die politischen Parteien unerwähnt gelassen habe, obwohl jedem Beobachter ihre Bedeutung auch auf kommunaler Ebene nicht verborgen bleiben kann. Wir haben uns in Deutschland mit den politischen Parteien immer schwer getan und erst das Grundgesetz hat sie rechtlich anerkannt und ihnen eine besonderen Status eingeräumt. Wer Art. 21 genau liest, wird allerdings feststellen, dass die Parteien an der "politischen Willensbildung des Volkes" mitwirken sollen und ihnen keineswegs ein Monopol bei der Mitwirkung eingeräumt wird. Parteien sind nur eine intermediäre Kraft unter mehreren – als weitere wären Verbände, Medien und Gesellschaften – auch Religionsgemeinschaften – zu nennen. Allerdings haben politische Parteien die Eigenart und Bestimmung, die Mitgliedschaft in Volksvertretungen – auch auf kommunaler Ebene – anzustreben. Während die Wahlen in Bund und Ländern sowie auf europäischer Ebene praktisch vollständig durch die politischen Parteien bestimmt werden – ihnen kommt ein "Listenprivileg" zu –, ist das Kommunalwahlrecht offen für Wählergemeinschaften und Einzelkandidaturen. Versuche, über die Wahlgesetzgebung politischen Parteien auch auf kommunaler Ebene eine monopolartige Stellung einzuräumen, sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Wenn gleichwohl die politischen Parteien ihre Machtbasis auf kommunaler Ebene zu begründen und verbreitern suchen, liegt hierin kein illegitimes Unterfangen, denn die Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes vollzieht sich auf mehreren Ebenen. Allerdings besitzen die Parteien kein Monopol für die Vergabe von Ehrenämtern von Gemeinden und Kreisen. Anders als in den Ausschüssen der Räte und Kreistage, die ein Spiegelbild der Vertretungsorgane darstellen und deren Entscheidungen vorbereiten sollen, sind Proporzgesichtspunkte bei der Vergabe von Ehrenämtern nicht legitimiert, mögen sie auch täglicher Praxis entsprechen. Die Mitgliedschaft in einer Partei als Voraussetzung für die Vergabe von Ehrenämtern steht im Gegensatz zu einem wesentlichen Grundgedanken kommunaler Selbstverwaltung. Dies steht allen Bürgern offen, mögen diese sich auch gerade nicht für eine bestimmte politische Richtung entschieden haben. Eine Mahnung an die politischen Parteien, bei der Besetzung von Ämtern Zurückhaltung zu wahren, gilt häufig als realitätsfremd; wir alle haben noch das Monitum des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Ohr, die Parteien hätten sich "fettfleckartig" ausgebreitet. Wachsendem Parteieinfluss können indes nur die Bürger selbst begegnen und gerade die kommunale Ebene ist ein Beispiel dafür, dass örtliche Besonderheiten parteipolitische Zugehörigkeit überspielen oder ersetzen können. Insofern steht die kommunale Selbstverwaltung auch aufgrund ihrer Eigengesetzlichkeit in einem Spannungsverhältnis zum Staat – und zum Parteienstaat.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Blick auf die jüngsten Ereignisse auf dem Finanzsektor werfen, die auf eine – zunächst vielleicht überraschende – Weise mit unserem Thema zu tun haben. Wir haben in der Vergangenheit feststellen müssen, dass sich in vielen Bereichen der kommunalen Selbstverwaltung das sog. "Wirtschaftsparadigma" durchgesetzt hat. Nun sind Kommunen seit jeher im Bereich der Daseinsvorsorge in Gestalt wirtschaftlicher Unternehmen tätig. Dass diese Unternehmen sich nach den Marktbedingungen richten und entsprechend geführt werden müssen, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Was ich hier ansprechen möchte, ist die Erstreckung des Wirtschaftsparadigmas auf die Verwaltung schlechthin und die Vorstellung, dass die kommunalen Unternehmen – einschließlich der Sparkassen – ohne weiteres mit privaten Wirtschaftsunternehmen vergleichbar sind. Dies ist nach gesicherter Rechtslage nicht der Fall, denn die kommunalen Wirtschaftsunternehmen müssen jeweils einem öffentlichen Zweck dienen ebenso wie die Sparkassen einen öffentlichen Auftrag erfüllen. Das Wirtschaftsparadigma hat in seinem Siegeszug zu Erscheinungen geführt, die immerhin zum Nachdenken Anlass geben. Die in den vergangenen Monaten zu beobachtenden Entwicklungen auf den Finanzmärkten mit ihren Rückwirkungen auf die Wirtschaftslage zwingen dazu, uns von der Vorbildfunktion privater Unternehmen – vor allem aber der Geschäftsbanken – für die Kommunalwirtschaft zu verabschieden. Es muss wieder bewusst werden, dass alle Erscheinungsformen kommunale Selbstverwaltung – auch in Gestalt von Wirtschaftsunternehmen – sich allein aus der Erfüllung öffentlicher Zwecke rechtfertigen und nicht etwa der Erwirtschaftung von Gewinnen dienen. Letzteres ist zwar erwünscht, vermag die kommunale Wirtschaft aber nicht zu rechtfertigen. Insofern gibt unsere gegenwärtige Lage Anlass zur erneuten Besinnung auf die Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, die sich auch im internationalen Vergleich als beispielgebend herausgestellt haben. Diese Grundlagen bestehen in der Selbstverantwortlichkeit von Gemeinden und Kreisen für ihre – örtlichen und überörtlichen – Angelegenheiten. Eng verknüpft ist hiermit die Einsicht, dass die Gestaltung unserer unmittelbaren Umgebung – von der Fußgängerzone bis zur Personenbeförderung – in den Händen derer liegen muss, die hiervon betroffen sind. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben spielt nach wie vor das Ehrenamt und die ehrenamtliche Tätigkeit eine wichtige Rolle. Ich darf Ihnen, die Sie heute von der Gemeinde Stuhr wegen Ihres ehrenamtlichen Engagements ausgezeichnet worden sind, meine herzlichen Glückwünsche aussprechen und danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.
Artikel-Informationen
erstellt am:
25.04.2009
zuletzt aktualisiert am:
17.05.2010