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Der Niedersächsische Staatsgerichtshof

Geschichte und Bedeutung


Das Land Niedersachsen wurde am 1. November 1946 durch die Zusammenlegung der früheren preußischen Provinz Hannover, auf deren Gebiet zunächst das Land Hannover errichtet wurde, des Freistaates Oldenburg, des Landes Braunschweig und des Landes Schaumburg-Lippe gegründet. Ob das Land ein eigenes Landesverfassungsgericht schaffen oder von der durch Artikel 99 des Grundgesetzes gebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte, dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung über Landesverfassungsstreitigkeiten zuzuweisen, war zunächst umstritten. Die Meinungen bei den parlamentarischen Beratungen über die im Jahr 1951 in Kraft getretene „Vorläufige Niedersächsische Verfassung“ gingen darüber auseinander.

Schließlich entschied man sich dafür, den gerichtlichen Schutz der Landesverfassung einem eigenen, speziellen Verfassungsorgan zuzuweisen, dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof. Dabei konnte das Land Niedersachsen nur auf eine begrenzte Tradition zurückgreifen, da nur Oldenburg zuvor einen Staatsgerichtshof errichtet hatte. Demgegenüber hatte sich Schaumburg-Lippe der Jurisdiktion des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich unterworfen. Preußen, dem die ehemals hannoverschen Teile des Landes angehörten, hatte zwar eine gesetzliche Grundlage für die Errichtung eines Staatsgerichtshofs geschaffen, diesen aber nicht eingerichtet. Braunschweig besaß ebenfalls kein Verfassungsgericht. Seine Bezeichnung „Staatsgerichtshof“ erhielt das Gericht in Anlehnung an den ehemaligen Oldenburgischen Staatsgerichtshof. Als Sitz wurde die frühere Residenzstadt Bückeburg, die bis 1946 der Regierungssitz des Landes Schaumburg-Lippe war, gewählt.

Die Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofs wurden in der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung bestimmt und waren zunächst sehr knapp gefasst. Im Vordergrund standen die abstrakte und die konkrete Normenkontrolle sowie die Organstreitigkeiten.

Die Regelungen über die innere Verfassung des Gerichts überließ die Vorläufige Niedersächsische Verfassung einem noch zu schaffenden Landesgesetz. Die Beratungen über dieses Gesetz erstreckten sich über einen langen Zeitraum, u. a., weil sie Ende des Jahres 1952 bis zum Frühjahr 1955 ausgesetzt worden waren. Im März 1955, also vier Jahre nach der Verfassungsgebung, wurde das Gesetz über den Niedersächsischen Staatsgerichtshof schließlich verkündet und trat am 1. Juli 1955 in Kraft. Damit war der Niedersächsische Staatsgerichtshof zwar formell errichtet, aber noch nicht arbeitsfähig.

Die erste Besetzung des Staatsgerichtshofs wurde nämlich vom Niedersächsischen Landtag erst im Januar 1957 gewählt. Die ersten Mitglieder waren Oberlandesgerichtspräsident Dr. Bruno Heusinger, Oberverwaltungsgerichtspräsident Prof. Dr. Richard Naumann, Senatspräsident am Oberverwaltungsgericht Werner Groß, Oberbürgermeister a. D., Rechtsanwalt und Notar Ernst Böhne, Rechtsanwalt und Notar Peter Görres, Landgerichtspräsident a. D. Heribert Kandler, Diplom-Volkswirt Wilhelm Korspeter und Rechtsanwalt und Notar Detlef Sagebiel.

Bis zum 30. Juni 1955 übte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Befugnisse eines Verfassungsgerichts erster und zweiter Instanz aus. Diese gingen mit Inkrafttreten des Staatsgerichtshofgesetzes auf den niedersächsischen Staatsgerichtshof über (§ 43 Abs. 1 und 2 StGHG a.F.).

Der Aufgabenbereich des Staatsgerichtshofs wurde durch die Änderung der Niedersächsischen Verfassung vom 19. Mai 1993 um die kommunalen Verfassungsbeschwerden und die Streitigkeiten über die Durchführung der durch diese Verfassung eingeführten Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide erweitert. Des Weiteren wurden auch zwei Bestimmungen getroffen, die sich bis dahin nur in dem Gesetz über den Staatsgerichtshof befanden: die Festlegung, dass der Staatsgerichtshof aus neun Mitgliedern und deren Stellvertretern besteht sowie die verfassungskräftige Bestimmung, dass er seinen Sitz in Bückeburg hat. Das im Jahr 1996 neu gefasste Gesetz über den Staatsgerichtshof änderte darüber hinaus die Regeln über die Zusammensetzung. Weitere Änderungen bzw. Neufassungen erfolgten in den Jahren 2006, 2011 und 2016. Im Jahr 2006 wurde die Bestimmung über Disziplinarmaßnahmen gegen Mitglieder des Staatsgerichtshofs angepasst und in Kommunalverfassungsbeschwerden wurde die Antragsfrist von einem auf zwei Jahre verlängert. Im Jahr 2011 wurden u. a. die Bestimmungen über die Beschlussfähigkeit und Beratung ergänzt um eine Regelung für den Fall, dass ein Mitglied nach Beginn der Beratung ausscheidet sowie um die Zulässigkeit von Ton- und Filmaufnahmen bei der mündlichen Verhandlung bzw. bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen. Schließlich wurde im Jahr 2016 die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs auf Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Landtag erstreckt.

Die Diensträume des Staatsgerichtshofs befinden sich seit seiner Errichtung im Gebäude des Landgerichts Bückeburg. Entsprechend dem Bedarf des Gerichts und seiner Mitglieder, die sich überwiegend nur zu Beratungen und Sitzungen in Bückeburg aufhalten, beschränken sie sich auf das Notwendige. Neben einem Beratungszimmer stehen dem Gericht einige kleinere Räume zur Verfügung, in denen die Bibliothek und Geschäftsstelle untergebracht sind und in denen bei Bedarf ein richterliches Mitglied arbeiten kann. Die öffentlichen Sitzungen des Staatsgerichtshofs finden im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bückeburg statt. An Tagen, an denen der Staatsgerichtshof öffentlich in Bückeburg zusammentritt, zeigt dies die Beflaggung des Dienstgebäudes an.


Quelle: Die dritte Macht im Land: Der Niedersächsische Staatsgerichtshof – Eine Dokumentation,

Hilda Widenmeier, Waltraud Wittkugel, Ernst Winkelhake,

1. Auflage 2001, Druckerei Bernhardt-Pätzold Stadthagen

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