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erstellt am:
16.12.2024
Pressemitteilung Nr. 17/24
Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat in einem die Wahl zum Niedersächsischen Landtag am 9. Oktober 2022 (19. Wahlperiode) betreffenden Wahlprüfungsverfahren festgestellt, dass die Einteilung der Wahlkreise gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl in Art. 8 der Niedersächsischen Verfassung (NV) verstößt. Der Wahlfehler führt jedoch nicht zur Ungültigkeit der Wahl.
Die Entscheidung erging aufgrund einer Wahlprüfungsbeschwerde eines aus dem Nordwesten Niedersachsens stammenden Antragstellers. Er hatte einen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit aufgrund erheblicher Unterschiede in der Größe der Wahlkreise bei der letzten Landtagswahl gerügt und beantragt, die Wahl für ungültig zu erklären.
Der Staatsgerichtshof hat in seiner heute verkündeten Entscheidung festgestellt, dass die der Landtagswahl vom 9. Oktober 2022 zu Grunde gelegte Wahlkreiseinteilung für die 87 niedersächsischen Wahlkreise, wie sie sich aus der Anlage zu § 10 Abs. 1 des Niedersächsischen Landeswahlgesetzes (NLWG) ergibt, mit dem Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl in Art. 8 Abs. 1 NV nicht vereinbar ist.
Nach dem Grundsatz der Wahlgleichheit müssen bei einer Mehrheitswahl, wie sie das niedersächsische Wahlrecht für die direkt gewählten Abgeordneten vorsieht, die Wahlkreise möglichst gleich groß sein, damit jeder Stimme ein annährend gleiches Gewicht auch im Verhältnis zu den in anderen Wahlkreisen abgegeben Stimmen zukommt. Beim Zuschnitt der Wahlkreise ist eine exakt gleiche Größe in der Praxis allerdings nicht zu erreichen, da die einem Wahlkreis zuzuordnenden Gemeinden unterschiedlich groß sind und die Bevölkerungsverteilung einem steten Wandel unterworfen ist. Außerdem darf der Gesetzgeber beim Zuschnitt der Wahlkreise weitere Gesichtspunkte wie etwa historisch verwurzelte Verwaltungsgrenzen berücksichtigen. Wahlkreise sollen auch nicht bei jeder Wahl neu zugeschnitten werden, da die persönliche Bindung der Abgeordneten an die von ihnen repräsentierten Menschen im Wahlkreis eine gewisse Kontinuität erfordert. Auf der Basis des derzeitigen niedersächsischen Wahlrechts mit vielen kleinen Wahlkreisen sind Abweichungen innerhalb einer Toleranzgrenze von bis zu 15% von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße systemimmanent und verfassungsrechtlich zulässig. In Ausnahmefällen, die sich auf zahlenmäßig wenige Wahlkreise beschränken müssen, kann eine höhere Abweichung von bis zu 25 % vom Durchschnitt verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn besondere Gründe die Überschreitung rechtfertigen. Eine Abweichung um mehr als 25 % vom Durchschnitt ist ausnahmslos unzulässig.
Den so konkretisierten verfassungsrechtlichen Vorgaben wird der nach der Anlage zu § 10 Abs. 1 NLWG maßgebliche Zuschnitt der Wahlkreise für die angefochtene Landtagswahl nicht gerecht. In den Wahlkreisen Lüneburg-Land und Aurich lag die Abweichung am Wahltag bei - 25,29% bzw. + 25,87% und damit über der absoluten Höchstgrenze. In 30 weiteren Wahlkreisen wich die Zahl der Wahlberechtigten um mehr als 15% von der durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten je Wahlkreis ab. Bei dieser Anzahl von Abweichungen liegen Ausnahmefälle nicht mehr vor.
Der Wahlfehler führt - anders als von dem Beschwerdeführer geltend gemacht - nicht zur Ungültigkeit der Wahl. Eine Neuregelung der Wahlkreise kann nur durch den Gesetzgeber erfolgen und ist innerhalb kurzer Zeit nicht umzusetzen. Der Gesetzgeber ist nach der getroffenen Entscheidung verpflichtet, die Neuregelung bis zur nächsten regulären Landtagswahl im Jahr 2027 zu treffen. Bis dahin bleibt die gegenwärtige Wahlkreiseinteilung anwendbar.
Mestwerdt
Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urteil vom 16. Dezember 2024 - StGH 5/23 -
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16.12.2024